Veranstaltung: | Stadtparteitag im September |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Florian Schönemann (KV München) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.09.2020, 14:03 |
A13: Eggarten erhalten und schützen
Antragstext
Begründung
Es besteht noch kein Baurecht auf dem Gelände der Eggarten-Siedlung. Der Stadtrat hat die Möglichkeit, die Bebauung abzulehnen. Das Vorkaufsrecht der Stadt wurde ohne Information des Stadtrats von der Stadtverwaltung ausgeschlagen und die Fläche vom Voreigentümer dann an Investoren verkauft. Flächen wie diese aber müssen in Zeiten von Klimakrise und Artensterben für die Stadt von ebenso großem Interesse sein wie potentielle Baugebiete.
Der Eggarten ist ein „Idyll“ (AZ), er ist ein Hotspot der Artenvielfalt, Kaltluftentstehungsgebiet, Grünzug, Frischluftschneise und Zentrale der Biotopvernetzung im Münchner Norden. Er ist eines der größten Biotope im Stadtgebiet. Aus Grüner Sicht hat der Eggarten alles, was aus ökologischen und klimatischen Gründen wertvoll und immer wichtiger ist für unsere Stadt und daher unbedingt schützenswert. In unserer Stadt, deren Versiegelungsgrad (das bedeutet, dass der Boden „abgedichtet“ ist und kein Wasser mehr versickern kann) bei knapp 50 Prozent liegt, ist der Erhalt solcher Flächen zwingend notwendig.
Biotopvernetzung, Artenvielfalt
Der Eggarten liegt inmitten einer „Kreuzung“ der Biotopvernetzung (Biotopverbundachsen) und von Grünzügen im Münchner Norden.
Durch die Bebauung werden die Wanderkorridore von Tieren unterbrochen. Der schmale Streifen südlich und östlich um die Bebauung wird keinen Effekt haben und die derzeitige Situation in keiner Weise ausgleichen können.
Das von uns mitgetragene Volksbegehren Artenvielfalt stellt nicht nur auf den Schutz einzelner, bedrohter Arten ab, sondern auf den Erhalt der Artenvielfalt insgesamt. Darum muss es auch uns Grünen in München gehen. Die Artenvielfalt, insbesondere bei Vögeln und Insekten (es gibt zudem Amphibien und Reptilien), ist im Eggarten für städtische Verhältnisse immens. Diese gilt es zu schützen. Bei zwei nur einstündigen Spaziergängen (nicht bei echten Kartierungen) wurden vom Vorsitzenden der Ornithologischen Gesellschaft Bayern 22 bzw. 24 Vogelarten im Eggarten gezählt. Die Bebauung des Eggartens würde diametral dem Inhalt des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ widersprechen.
In den letzten 10 Jahren haben wir in München trotz aller Ersatzpflanzungen ein Minus von über 20.000 Bäumen, die der Baumschutzverordnung unterliegen (mindestens 80cm Stammumfang in 1 m Höhe) zu verzeichnen. Der zigtausendfache Verlust kleinerer Bäume wurde gar nicht erfasst. Wenn es sich wie im Eggarten nicht um Einzelbäume, sondern um einen Lebensraum mit vielen Bäumen handelt, darf dieser erst recht nicht zerstört werden.
Unzählige Papiere von Bund, Land und Stadt weisen auf die Notwendigkeit des Erhalts von Natur und Artenvielfalt in der Stadt hin.[1] Wir Grüne müssen hier Vorreiter sein!
Frischluftschneisen, Klimaanpassung
Auch die von Norden und Westen kommenden Kaltluftströme (Frischluftschneisen) werden unterbrochen (laut „Gutachten Stadtklima“ um bis zu 50% reduziert). In der Bebauung selbst wird es kaum Frischluftströme geben (Folge: Aufheizung an heißen Tagen). Bei den Flächen im Norden, Westen und Osten handelt es sich um städtische Grünzüge, wobei die Grünzüge aus Westen und Norden direkt auf den Eggarten zulaufen und ihren Nutzen verlieren, würde dort bebaut. Der Eggarten selbst ist ein Kaltluftentstehungsgebiet. Viele Papiere (auch der LHM) weisen auf die Notwendigkeit von verstärktem Klimaschutz in der Stadt hin.[2] Auch unsere Landtagsfraktion hat hierzu, insbesondere zur Klimaanpassung, ein Papier erstellt.[3] Diesem Papier folgend ist eine Bebauung des Eggartens kontraproduktiv in Zeiten der Klimakrise. Auch einem Hitzeaktionsplan, wie er von den Landtagsgrünen für Kommunen gefordert wird, würde diese Bebauung wiedersprechen[4]. Jeder Verlust von Grünflächen führt in der Zukunft zu Problemen in heißer werdenden Sommern[5]. Wir Grüne sind Vorreiter beim Klimaschutz und der Klimaanpassung!
Auch eine „Blockrandbebauung“ würde die Biotopvernetzung, die Grünzüge und die Frischluftschneisen unterbrechen. Zudem würde eine die Fläche umgebende Wohnbebauung die bisherigen Funktionen innerhalb des Gebietes empfindlich stören.
Verkehrliche Anbindung
Die verkehrliche Anbindung soll laut Wettbewerbssieger langfristig über einen S-Bahn-Halt am S-Bahn-Nordring südlich des Plangeländes erfolgen. Dies wird in absehbarer Zeit nicht umgesetzt werden können. Es sollen deshalb über die Lasallestraße Busse zu den U-Bahn-Haltestellen Olympia-Einkaufszentrum oder Oberwiesenfeld geführt werden. Dies reicht nicht aus, um das Quartier tatsächlich „autoarm“ zu gestalten und bis zu 2.000 Bewohner*innen problemlos transportieren zu können. Es wird insbesondere an Schlechtwettertagen oder im Winter auf das Auto zurückgegriffen werden. Die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist unzureichend.
Koalitionsvertrag
Folgende Passagen aus dem Koalitionsvertrag widersprechen einer Bebauung des Eggartens:
- Nach Hamburger Vorbild werden wir Biotopverbundachsen voranbringen, Frischluftschneisen (Klimafunktionskarte) erhalten…
- Bestehende Biotope werden wir schützen…
- Grünflächen, Artenschutz und der Erhalt des Baumbestands werden in Zukunft bei Stadt- und Bauplanungen von Anfang an eine größere Rolle spielen.
- Maßvolle angepasste, aber verbindlich geregelte Nachverdichtung im bereits versiegelten Bestand und natur- und ressourcenschonende Verdichtung in Neubaugebieten (flächensparendes Bauen) nach dem Planungsgrundsatz der Perspektive München: Kompakt-urban-grün. Hierbei gilt für uns der Grundsatz: Lieber angepasst an die Umgebungsstrukturen moderat in die Höhe bauen und dafür wertvolle unversiegelte Flächen schützen.
- Alle Grünflächen, die wir vor Bebauung schützen wollen, werden flächenmäßig noch 2020 bilanziert. Die bilanzierte Fläche wird erhalten, weder bebaut noch für andere Infrastrukturmaßnahmen verwendet. Alle Wälder, Grünflächen, Parkanlagen, Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete, Geschützte Landschaftsbestandteile, Ausgleichsflächen, Regionale Grünzüge, Städtische Grünzüge, Flächen mit altem Baumbestand in München werden flächenmäßig noch 2020 bilanziert. Die bilanzierte Fläche wird erhalten, weder bebaut noch für andere Infrastrukturmaßnahmen verwendet. Wird eine Fläche trotzdem bebaut, muss an anderer Stelle im Stadtgebiet diese Fläche in der gleichen oder sogar höheren Wertigkeit wieder entstehen. Das gilt für Grün- und Ackerflächen (auch in Grünzügen). Naturschutzgebiete, FFH- Gebiete, alle Flächen, die schwierig wiederhergestellt werden können (Moore, Feuchtgebiete und Wälder), Flächen mit altem Baumbestand, Grünzüge und alle Wälder müssen nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Lage erhalten werden.
Anmerkung: Wäre der letzte Punkt bereits umgesetzt worden, wäre der Eggarten mit Sicherheit eine der Grünflächen, die nicht bebaut werden.
Abwägung Natur und Artenvielfalt, Klimaschutz – Wohnungsbau
Im Koalitionsvertrag steht auch:
- Wir schaffen neuen, dringend benötigten, dauerhaft bezahlbaren Wohnraum und stärken München als Vorbildkommune für Umwelt- und Klimaschutz und als lebenswerte, soziale und grüne Stadt.
Wir wollen auch den genossenschaftlichen Wohnungsbau fördern, was im Eggarten nach bisherigem Kenntnisstand möglich wäre.
Deshalb bedarf es einer Abwägung: Welche Wertigkeit haben für uns die oben dargestellten Eigenschaften des Eggartens gegenüber der unbestrittenen Notwendigkeit, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Ist es zwingend erforderlich, genau an dieser Stelle Wohnraum zu schaffen und damit ökologische Positionen wegzuwägen? Oder müssen wir solche wertvollen Flächen behalten und können günstigen Wohnraum und Genossenschaftswohnungen auch woanders errichten?
Wohnungsbau in München
Im Flyer der LHM „Große Projekte und Planungen 2019– 2020 in der Landeshauptstadt München“ (Stand: Februar 2019) sind als Wohnbauprojekte dargestellt:
- 36 Projekte „unter 20 h und/oder unter 1.000 Wohneinheiten“ (pro Wohneinheit werden 2,1 Personen gerechnet)
- 14 Projekte „über 20 ha und/oder über 1.000 Wohneinheiten“ (darunter z.B. Freiham mit laut LHM „über 25.000 Einwohnern“).
Noch nicht mit eingerechnet ist die „SEM Nordost“ mit bis zu 30.000 Einwohner*innen. Nicht eingerechnet sind die unzähligen „kleinen“ Wohnungsbaumaßnahmen auf einzelnen Grundstücken (z.B. Abriss Einfamilienhaus und folgender Bau von Mehrfamilienhäusern). Zudem sind seit Februar 2019 weitere Baugebiete ausgewiesen worden und weitere Bauanträge gestellt worden. Das bedeutet: Es wird derzeit umfangreich Wohnungsbau betrieben.
Die von der Stadt genannten Projekte werden überwiegend auf bisher unbebauten, unversiegelten Flächen realisiert. Der Versiegelungsgrad der LHM wird dadurch auf deutlich über 50 Prozent steigen.
Flächen wie der Eggarten, der verschiedenste wertvolle ökologische und klimatische Funktionen erfüllt, müssen daher besonders geschützt werden - auf diese Flächen kommt es in einer Gesamtbetrachtung beim Wohnungsbau und dem Umfang der aktuellen Baumaßnahmen nicht an.
Alternativen beim Wohnungsbau zur Versiegelung wertvoller Flächen – und damit des Eggartens
In der von der Grünen Stadtratsfraktion im Jahr 2018 beauftragten und vorgestellten Studie „Nachverdichtung auf versiegelten Flächen“ konnten in nur drei untersuchten Gebieten in München (Parkplatz vor V-Markt im Euro-Industriepark, Siemens-Parkplatz Nord Neuperlach und Ständlerstraße Neuperlach) Flächen für 8.500 Bewohner*innen auf bereits versiegelten Flächen ermittelt werden. Das Potential ist also immens.
Die „Deutschlandstudie 2019“ der TU Darmstadt stellt fest, dass es in den Ballungszentren in Deutschland alleine durch Aufstockung von Gebäuden ein Potential von 2,3 bis 2,7 Millionen Wohnungen gibt.
Weitere Argumente gegen eine ausgerechnet im Eggarten notwendige Wohnbebauung
Durch die Corona-Krise hat Homeoffice einen grandiosen Aufschwung erfahren. Bayern- und deutschlandweit die zügige Umsetzung des schnellen Internets in jeden Haushalt vorausgesetzt, werden alleine dadurch viele Arbeitnehmer*innen nicht mehr zwingend an den Standort ihres (zukünftigen) Arbeitgebers umziehen müssen. Dadurch ist „eine Entspannung der städtischen Wohnungsmärkte denkbar, wenn die Notwendigkeit wegfällt, in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte zu wohnen.“[6]
Die Bundes- und die Staatsregierung wollen „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ in Deutschland und Bayern schaffen. Das bedeutet, dass die Ballungszentren entlastet und der ländliche Raum gestärkt werden sollen (z.B. Universitäten, Unternehmen, Ämter, schnelles Internet). Dies gilt es voranzubringen. Sollte dies gelingen, könnte sich der Zuzug nach München abschwächen. Außerhalb der Metropolen stehen deutschlandweit aktuell über 2 Millionen Wohnungen leer.
Die Ergebnisse der „14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung“ des Statistischen Bundesamtes vom August 2020 sagen ein Schrumpfen der Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2060 zwischen 400.000 und 9 Millionen (Mittelvariante 5,2 Millionen) Menschen voraus, was sich auch auf den Wohnungsmarkt auswirken wird.
Der BUND Naturschutz, der Landesbund für Vogelschutz, die Ornithologische Gesellschaft Bayern, die Gesellschaft für Ökologische Forschung und andere Umweltorganisationen sprechen sich klar gegen eine Bebauung des Eggartens aus.
Alternative Nutzungen des Eggartens
Statt der geplanten Bebauung sind auf den bereits bestehenden bebauten Flächen verschiedene andere Nutzungen – auch durch Neubauten – verbunden mit einer Öffnung des Geländes für die Münchner Bevölkerung denkbar: Platz für Kulturschaffende, Umweltbildung, Coworking Spaces etc.
Ergebnis:
Die Wertigkeit des Eggartens, die realen Alternativen und möglichen Zukunftsszenarien betrachtend ist es trotz der aktuell wichtigen Schaffung bezahlbaren Wohnraums nicht notwendig und mit Grünen Grundwerten nicht vereinbar, wertvollste Grünflächen wie den Eggarten zu bebauen.
Aus allen genannten Gründen lehnt der Kreisverband München von Bündnis 90/Die Grünen die Bebauung des Eggartens ab.
Wenn wir uns jetzt für eine Bebauung entscheiden, ist der Eggarten mit all seinen für die Stadt wichtigen Funktionen unwiederbringlich verloren und unzählige Pflanzen und Tiere verlieren ihren Lebensraum und die Artenvielfalt in unserer Stadt geht weiter zurück. Wenn wir uns nach Alternativen umsehen, können zukünftige Generationen von Menschen in dieser Stadt weiter von seinen Vorteilen profitieren und Tiere und Pflanzen weiter in ihm leben.
Antragsteller*innen:
Florian Schönemann, Christian Hierneis, Benjamin Adjei, Marina Burwitz, Georg Nitsche, Maria Wißmiller, René Hanschke, Bettina Burk, Christoph Braun, Sophie Marshall, Ludwig Sporrer, Erich Kager
[1]Auswahl: Masterplan Stadtnatur (BMU 2019), Weißbuch Stadtgrün (BMU 2017), Stadtgrün - Artenreich und vielfältig (BMU 2016), Naturstadt – Kommunen schaffen Vielfalt (BfN 2019), Urbane Grüne Infrastruktur (BfN 2017), Biologische Vielfalt und Städte (BfN 2006), Für mehr Umweltschutz und Lebensqualität in den Städten (SRU 2018), Stadtnatur und Klimaanpassung (StMUV 2020), Natur in der Stadt (LfU 2010), Biodiversitätsstrategie München (LHM 2020), Leitlinie Ökologie (LHM 2012) etc.
[2] z.B. Stadtklimaanalyse (LHM 2014)
[3] Auf dem Weg zur klimagerechten Kommune (Grüne Landtagsfraktion 2020)
[4] Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit (BMU 2017)
[5] Adapting Cities for Climate Change: The Role of the Green Infrastructure (https://www.researchgate.net/publication/253064021)
[6] ifo-Institut (https://www.ifo.de/node/56298)
Unterstützer*innen
- Ludwig Sporrer (KV München)